REED, ROBERT
Sanctuary II 2CD+DVD
- Artikelnummer 23782
- Format: CD
- Genre: PROGRESSIVE
- Erscheinungsdatum: 10.06.2016
Es ist vollkommen egal, was bei Oldfields Rückkehr nach Ommadawn am Ende herauskommt. Denn "Sanctuary II" ist wie "Sanctuary" derart großartig, dass es egal ist, was Oldfield macht. Na, sagen wir, fast, denn ein Meisterwerk des Meisters ist jederzeit willkommen. Aber wenn wieder nur Murks dabei herauskommt, können wir "Sanctuary" und "Sanctuary II" hören, das genügt - und entschädigt für vieles.
Reed hat mal wieder alle Register seines Könnens gezogen und Oldfield - nein, nicht geklont, - gechannelt, wie es besser nicht geht. Die meisten Klonbands kaufen sich ja nur die Instrumente ihrer Vorbilder und klingen dementsprechend nur oberflächlich nach ihnen. Nicht so Reed, der die Essenz von Oldfields Großtaten "Tubular Bells", "Hergest Ridge", "Ommadawn" und "Tubular Bells II" eingeatmet hat - und sie in seiner "Sanctuary"-Reihe wieder ausatmet. Natürlich sind sie alle da, die Oldfield-Sounds, allen voran die Bagpipe-Gitarre, ebenso wie die folkigen und die Ethno-Klänge, das sichert die Produktion der Oldfield-Veteranen Tom Newman und Simon Heyworth. Aber auch die Kompositionen, Aufbau und Struktur, die Texturen, all das zeugt von einem weitaus tieferen Verständnis für die Musik des Originals, als es durchschnittliche gemeinhin Klonbands haben. Reeds Geheimnis: Er versucht gar nicht erst, Oldfield zu klonen, er versteht dessen Musik vielmehr als ein Genre, in dem er sich selbstständig bewegt. Das sagt er in Interviews, und allen Rockhörern, die nicht ganz naiv sind, ist klar, dass Interviews zur Performance des Rockmusikers gehören. Dennoch glaube ich in diesem Fall, dass Reed es tatsächlich so sieht, ist doch seinem Album wieder jene paradoxe Eigenständigkeit anzuhören, die souveränen Klonern eigen ist, wenn sie echte Könner sind - und das ist Reed zweifelsohne. "Sanctuary II" verbindet erneut die Definition jenes "Genres", "Tubular Bells" mit der Englishness von "Hergest Ridge" und den Ethno-Anklängen von "Ommadawn". Es ist dabei breiter aufgestellt als der Vorgänger: Es ist hier mehr Rock, da mehr Ethno, dort mehr Folk. Reed ist in dieser Hinsicht mutiger geworden, umstellt sich dabei andererseits aber auch mit noch mehr Oldfield-Veteranen, allen voran Les Penning und Simon Phillips.
Nun kann man sagen: Die Klonerei ist, ebenso wie das gesamte Retro-Genre, künstlerisch zweifelhaft. Ihr Sinn, Zweck und damit ihre Daseinsberechtigung ist es schließlich, nichts Neues zu bieten. Das ist Musik von Leuten, die es bedauern, dass die klassischen Progger nicht noch mehr klassischen Prog aufgenommen und veröffentlicht haben, für Leute, die es bedauern, dass die klassischen Progger nicht noch mehr klassischen Prog aufgenommen und veröffentlicht haben. Die Motive dafür sind sicherlich verschiedener Natur: In Frage kommen wohl in erster Linie die Tatsache, dass Musiker wie Reed selbst Fans des klassischen Prog sind, die Absicht, beim Zuhörer nostalgische Gefühle auszulösen - naja, und sicher nicht zuletzt monetäre Überlegungen der Bands, ihrer Manager und Plattenfirmen.
Aber was soll‘s: Solche Musik richtet sich nicht an Leute, die das Progressive im Progressive Rock suchen. Den Oldfield-Fans, die von ihrem Meister jahre- und jahrzehntelang enttäuscht wurden, wird‘s egal sein. Sie wollen die Musik hören, die sie lieben, nicht den Musiker. In diesem Sinne: Viel Vergnügen!
Nik Brückner/BBS - 12/15 Punkten